Die Macht der Gewohnheit

vom: 28.02.18

Haben Sie mal darauf geachtet, wie viel Sie täglich machen, obwohl Sie die Wahl haben? Wie oft Sie zum gleichen Kaffeebecher im Regal greifen? Oder sich für dasselbe Kantinenessen entscheiden? Und sich auf denselben Parkplatz stellen, obwohl er nicht eigens für Sie reserviert ist und auch andere frei gewesen wären? Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, sagt der Volksmund und meint damit: Wir lieben vertraute Routinen und Rituale. Denn sie geben uns Sicherheit und befriedigen damit eines unserer Grundbedürfnisse. Viele unserer Gewohnheiten erwerben wir unmerklich. Das gilt für den Umgang mit Dingen ebenso wie für den Umgang mit anderen oder uns selbst. Wird die Gewohnheit von außen durchbrochen, verunsichert uns das latent und sorgt für Irritation: Wieso muss ich heute da hinten parken? Die dunkle Ecke mag ich gar nicht! Weshalb benutzt jetzt der Kollege meinen Lieblingsbecher? Wieso belegt ein anderer Gast meine Liege? Wieso nimmt ein anderer Teilnehmer meinen Stuhl und Platz? Der Tag fängt ja gut an... Wie, Schnitzel ist aus? Aber das esse ich doch immer dienstags!

Symboldbild: Ausgetretene Wege

Ausgetretene Wege zu verlassen kann den Blick schärfen
(Quelle: Fotolia ©eiskristall102)

Routinen sind anpassungsfähig, Rituale nicht

Unsere Gewohnheiten tragen zu unserer Entspannung bei und schaffen Ordnung in unserem Leben. Je höher der Druck ist, unter dem wir gerade stehen, desto wichtiger werden sie für uns. Sogenannte Routinen sind dabei nach festen Regeln ablaufende, gleichbleibende Handlungen, die für uns einen Symbolgehalt haben. In schwierigen Situationen sorgen sie für Halt und Orientierung, nehmen uns die Angst vor der anstehenden Herausforderung. Im Spitzensport schenken Routinen den Athleten in Momenten höchster Leistungsbereitschaft jene Sicherheit, die sie benötigen, um ihre Höchstleistung abrufen zu können. Routinen lassen sich in etlichen Sportarten beobachten - sei es beim Skispringen, Fußball oder Basketball. Im Golfsport haben Golfer sogar ihre individuelle Pre-Shot-Routine, um Schläge vorzubereiten: immer gleiche Bewegungsabläufe und Handlungen gehen einem Schlag voraus. Doch im Gegensatz zum Ritual, das ein rigides Verhaltensmuster mit emotional aufgeladener Bedeutung ist (Bekreuzigen vorm Betreten des Spielfelds, das Tragen eines Glücksbringers etc.), kann eine Routine sich an veränderte Bedingungen anpassen. Sportler müssen auf wechselnde Rahmenbedingungen wie Wetter, Publikum oder Startzeit reagieren können, ohne ins Stocken zu geraten. Mit anderen Worten: Routinen sind anpassungsfähig, Rituale nicht. Für manchen ist das fehlende Schnitzel in der Kantine ein Drama, für andere vielmehr ein Impuls, sich neu zu orientieren - das hängt von der Bedeutung ab, die diese Essgewohnheit für den Einzelnen hat.

Wo Altes weichen soll, muss Neues den Platz einnehmen

Rund 40 Prozent unseres Alltags werden von Gewohnheiten bestimmt, leider auch von schlechten. Der routinierte Griff in die Chipstüte am Abend, das Verharren vor dem Fernseher trotz Müdigkeit oder die Zigarette zum Morgenkaffee gehören zu jenen Gewohnheiten, von denen wir uns eigentlich verabschieden wollten - neues Jahr, neue Vorsätze - aber das dauerhafte Durchbrechen dieser Handlungsmuster fällt uns tatsächlich enorm schwer. Charles Durhigg, US-amerikanischer Journalist und Autor, hat sich mit unseren Gewohnheiten beschäftigt und festgestellt, dass sie aus einer Folge von Auslösereiz, Routine und Belohnung bestehen. Seine Erkenntnis: Wer eine Gewohnheit ändern will, muss an die Stelle der alten Routine eine neue setzen. Das erfordert kritisches Hinterfragen:

  • Wofür steht die alte Routine? Was stellt sie sicher?
  • Welche Bedürfnisse befriedigt sie?
  • Welche Routine könnte dieses Bedürfnis ebenso befriedigen, jedoch ohne negative Begleiterscheinung (Gewichtszunahme, Schlafmangel, Gesundheitsschäden...)?

Wer bei Abläufen beweglich bleibt, bleibt auch geistig flexibel

Tatsächlich hat das Durchbrechen von Routinen nicht nur einen Optimierungseffekt für Handeln und Verhalten, sondern steigert auch unsere Flexibilität und sorgt für Abwechslung im Alltag. Und dieser Effekt ist nicht zu unterschätzen. Monotonie kann nämlich psychisch genauso belastend sein wie übermäßiger Stress. Im Arbeitsalltag können monotone Abläufe zu Eintönigkeit und Demotivation führen. Jeder dritte Beschäftigte in Deutschland bemängelt es laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), wenn die Vorgehensweise bei Aufgaben bis ins letzte Detail vorgeschrieben wird. Nur nach Schema F zu arbeiten, fördert weder das Denken noch die Eigenverantwortung. "Das machen wir hier immer so." ist fürwahr ein Totschlagargument - insbesondere für die Motivation des Einzelnen und die Weiterentwicklung von Prozessen und Inhalten.

Schon kleine Veränderungen wirken sich auf unsere Psyche aus. Das Verlassen von Gewohnheiten ist auch ein Verlassen der Komfortzone - aber erst das macht den Weg frei für neue Reize und Perspektiven. Bewegung ist dabei ein Schlüsselfaktor und lässt sich am Arbeitsplatz schon mit kleinen Maßnahmen gut umsetzen:

  • Wer ständig sitzt, wird träge, köperlich wie geistig. Arbeiten Sie ab und zu im Stehen oder stellen Sie sich zum Telefonieren hin.
  • Verlagern Sie das nächste Meeting in die Büroküche oder laden Sie die Teilnehmer zum gemeinsamen Spaziergang ein, nach dem Motto "Meet & Walk". Körperliche Bewegung regt das Denken an.
  • Gehen Sie ab und zu mittags mit einem Lunchpaket in die Natur statt in die Kantine - Schnitzel hin oder her. Ein kurzer Aufenthalt in der Natur verschafft Ihnen mehr Entspannung als eine lange Mittagspause im Firmengebäude.
  • Organisieren Sie "blind dates" in der Kantine für Ihre Kollegen und Mitarbeiter: Wer mit wem essen geht, wird gelost. Das fördert nicht nur den Teamgeist, sondern auch die Fähigkeit, über den Tellerrand zu schauen.

Bewegung lässt sich ebenso in Arbeitsabläufe bringen:

  • Ändern Sie gelegentlich die Reihenfolge von Tätigkeiten, wenn sie nicht zwingend eingehalten werden müssen.
  • Sie tippen Ideen gleich in den Laptop? Nehmen Sie zwischendurch mal wieder den guten alten Stift in die Hand und halten Sie Ihre Gedanken auf Papier fest. Die veränderte Vorgehensweise zwingt Sie zum Umdenken und erhöht Ihre mentale Beweglichkeit.
  • Wechseln Sie regelmäßig die Zuständigkeiten im Team, damit ein reger Wissensaustausch und Abwechslung für alle herrschen.

Keine Frage, Routineaufgaben gehören in vielen Jobs dazu. Sie erleichtern die Struktur unseres Alltags. Aber es lohnt sich, gelegentlich bewusst Verhaltensweisen und Abläufe zu hinterfragen und zu verändern. Denn das steigert unsere Flexibilität und damit auch unser Vermögen, mit unvorhergesehenen Ereignissen und sich ändernden Rahmenbedingungen souverän umzugehen. Machen Sie aus Schema F einfach A bis Z, oder wenigstens E bis G. Sie lernen dazu - auch über sich selbst.

Mehr zum Thema Routinen und Rituale lesen Sie in der Neuauflage von "Kopf gewinnt!", in dem sie ein Kapitel des Weges zu mentaler und emotionaler Führungsstärke bilden. Im Buch gewähren zudem weitere Interviewpartner aus der Welt der Wirtschaft und des Sports Einblick in ihr Selbstmanagement und ihren Führungsalltag.

>> Jetzt bestellen...

Ihre Antje Heimsoeth